Wir befinden uns in einer schnelllebigen Zeit. Immer mehr ist möglich. In immer kürzeren Abständen gewöhnen wir uns an neue Technologien und passen unser Nutzerverhalten an. Was bedeutet das eigentlich für die Unternehmen? Richtig, sie müssen sich doppelt anpassen. Zum Einen ist ihre Innovationskraft gefordert, damit die Produkte dem neuen Nutzeranspruch genügen oder gar neue Interessen und Bedarfe wecken. Zum Anderen erzeugen neue digitale oder technologische Möglichkeiten Änderungen auf der Produktions- und Arbeitsebene. Menschen aus unterschiedlichen Jahrzehnten, mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Präferenzen machen sich auf den Weg, sich den neuen Arbeitsmethoden anzupassen. Das kann schon mal Emotionen erzeugen. Früher wurden Emotionen im Change Prozess unternehmensseitig eher vernachlässigt. Doch heute können wir uns das schlichtweg nicht mehr erlauben!
Das Menschenbild des Homo oeconomicus, der seine Entscheidungen rein am größtmöglichem Nutzen orientiert, hat ausgedient. Die gesellschaftlichen Werte haben sich verändert. Heute steht der Mensch im Mittelpunkt vieler Veränderungsprozesse, denn seine Akzeptanz und sein Handeln entscheiden über Erfolg oder Misserfolg unternehmerischer Konzepte. Und sein Maßstab ist dabei weit weniger ökonomisch, wie noch vor 20 Jahren. Werte wie Autonomie, Selbstentfaltung, Kreativität, Flexibilität und Nachhaltigkeit haben heute bedeutenden Einfluss. Als Führungskräfte sind wir die Brückenbauer zwischen den ökonomischen Grundfesten des Unternehmens und den wertorientierten Arbeitsabläufen innerhalb der Belegschaft. Machen wir unsere Sache gut, setzen wir genau das richtige Maß an Energie frei, um effizient und effektiv in die Zukunft zu gehen.
„Organisationen bestehen aus Menschen und Emotionen sind der Untergrund, auf dem sich das Unternehmenstheater täglich abspielt. In Veränderungen kommt dieser Untergrund in Bewegung.“ – M. M. Meile
Emotionen im Change Prozess erkennen
Woran merken wir, dass Emotionen in unserem Change Prozess im Spiel sind? Richtig, an der Intensität, die uns in einem bestimmten Thema begegnet. Dabei kann sich diese Intensität auf die Lautstärke beziehen, auf die Geschwindigkeit, mit der gesprochen wird, auf die Betonung und genauso auch auf die Inhalte, die dann auf einmal persönlich werden. Schauen wir uns mal ein Beispiel an:
Vielleicht warst Du selbst schon einmal Teil eines Projektes, das eine neue Software oder einen neuen Prozess eingeführt hat. Ihr habt in dem Zusammenhang andere Abteilungen und relevante Schnittstellen mit einbezogen, und erhieltet vielleicht Reaktionen wie: „Das können wir auf keinen Fall so machen. Ihr habt übersehen, dass… . Damit erzeugen wir an Stelle XY große Probleme!“ Solche Sätze sind ein Indikator dafür, dass
- dort jemand gern gefragt worden wäre, seine Expertise mit einzubringen
- dieser jemand viel Erfahrung hat und die Zusammenhänge zu kennen scheint
- und jemand, der vielleicht schon an der Vorgängerlösung mitgearbeitet hat und deshalb auch die Tendenz hat, sie zu verteidigen.
Zugrunde liegende Motive der Beteiligten
Warum also reagieren manche Mitarbeitende emotional auf eine Veränderung und bringen das auch dementsprechend in Informationsveranstaltungen zum Ausdruck? Der eine verteidigt sich, weil er sich oder seine Arbeit tendenziell abgewertet fühlt. Die andere möchte nicht, dass Kollegen*innen ihre Kompetenz in Zweifel ziehen, deshalb wird sie sie durch viele Argumenten und die Kenntnis um komplexe Zusammenhänge zur Schau stellen wollen. Wer an der Vorgängerlösung mitgearbeitet hat, wird all die guten Gründe anführen, die zu der damaligen Lösung geführt haben. Die damals im Prozess beteiligten sind überzeugt von der Richtigkeit der damaliger Entscheidungen und in der Konfrontation mit Neuem zunächst schwer zu überzeugen. In so einer Situation begegnen wir Ärger, Wut oder Angst, Frustration oder auch Verzweiflung.
Was wäre UNSERE normale Reaktion? Wir würden versuchen, mit guten Argumenten zu überzeugen. Vermutlich würden wir ein Gespräch zusammensetzen, vielleicht sogar im Team-Meeting darauf eingehen. Logik und Wissensvermittlung sind also unser Mittel der Wahl als Reaktion auf die Emotionen im Change Prozess. Die Situation würde sich dadurch vermutlich sogar verhärten, so, dass wir vielleicht sogar gezwungen sind, den Diskurs abzukürzen. Wir verweisen darauf, dass dies nunmal so entschieden sei und wir da professionelle und konstruktive Mitarbeit erwarten. Kommt euch das bekannt vor? Hier wollten wir das Richtige, doch wir haben es falsch angefangen, weil wir das nötige Hintergrundwissen nicht hatten.
Der adäquate Umgang mit den Emotionen anderer
Gehen wir nochmal zurück an die Stelle, an der unser erfahrenes Gegenüber seine/ ihre Argumente präsentiert. Hier geht es ihm/ ihr darum, gesehen und respektiert zu werden. Er/ Sie will verteidigen, was vorher als gute Leistung galt und fürchtet, dadurch, dass man ihn/ sie diesmal nicht eingebunden hat, an sozialem Ansehen zu verlieren. Dieser Mensch ist gerade emotional angespannt und gar nicht zugänglich für unsere Sicht der Dinge! Deshalb müssen wir zuerst den Emotionen unseres Gegenübers Raum geben. Sie wollen gesehen und bedient werden. Wie können wir das machen?
Genau, indem wir zuhören, aktiv zuhören und seine/ ihre Punkte ernst nehmen. Wir fragen nach, um seine/ ihre Punkte richtig zu verstehen und mit ins Kalkül ziehen zu können. Wir bestätigen ihn/ sie (auch vor anderen), indem wir seinen/ ihren Beitrag zur bisherigen Lösung loben und diese auch als den bisher besten Weg würdigen. Dann weisen wir darauf hin, dass sich die äußeren Anforderungen verändert haben und deshalb nun eine neue Lösung gefunden werden muss. Wir können ihn/ sie auch um Mithilfe bitten, damit bei der neuen Lösung keine wichtigen Details übersehen werden.
Was haben wir dadurch bewirkt?
Durch unser Verhalten helfen wir ihm/ ihr, Ängste abzubauen und sich für die neuen Anforderungen zu öffnen. Oftmals bringen diese Mitarbeitenden sich dann aktiv und konstruktiv ein und überzeugen durch ihr Verhalten auch ihr Umfeld. Sie machen die Lösung besser und erhöhen gleichzeitig die Akzeptanz in der Belegschaft. Zusätzlich öffnen wir damit eine Tür für weitere positive Reaktionen auf die Veränderung. Das Thema erhält Aufmerksamkeit – ihm fließt also Energie zu, was die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Umsetzung erhöht.
Dies war nur ein Beispiel dafür, wie uns Emotionen im Change Prozess begegnen können. Wollen wir uns das gesamte Spektrum zu erwartender Emotionen anschauen, können wir die berühmte Change-Kurve zur Hilfe nehmen.
Die Change-Kurve von Elizabeth Kübler-Ross
Jeder Change Prozess bringt Verhaltensveränderungen für die Mitarbeitenden mit sich.
Und genau deshalb entscheidet die Art und Weise, wie wir Menschen durch den Change führen und begleiten auch darüber, ob die Veränderung ihr gewünschtes Ziel bewirkt oder nicht.
Die Change-Kurve, eine Weiterentwicklung der Arbeit der Schweizer Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross, zeigt die unterschiedlichen emotionalen Stadien auf, die ein Mensche durchläuft, wenn sich etwas für ihn/ sie Wichtiges verändert. Dabei ist es nicht relevant, ob es eine kleine Veränderung und dementsprechend eine kurze Reaktion ist oder eine große Veränderung mit einem längeren Anpassungsprozess. Jeder Mensch durchläuft diese Stadien bei jeder Veränderung – nur der eine schneller und der andere langsamer.
Ein weiteres Beispiel:
Ihr seid morgens im Auto auf dem Weg zur Arbeit. Ihr startet also im „Normalbereich“. Doch auf eurer gewohnten Strecke taucht plötzlich eine Baustelle auf. Die Fahrbahndecke wurde entfernt, die Straße zur Durchfahrt gesperrt und irgendwie habt ihr vorher gar keine beschilderte Umleitung bemerkt. Erste Reaktion: ihr seid sauer. „Das kann doch nicht wahr sein! Ich komm noch zu spät. Gerade jetzt“ Ihr seid geschockt. Euch fallen sofort diverse Nachteile ein, die euch entstehen könnten. Es wird emotional! Aber ihr seid clever. Es kann gut sein, dass euch etwas einfällt, wie ihr doch ohne Verlust aus dieser Situation heraus kommt. Vielleicht könnte man die Baustelle doch noch befahren? Vielleicht gibt es einen kleinen Schleichweg dran vorbei?
Wenn ihr so denkt, seid ihr gerade im Widerstand. 😉 Ihr wollt euch nicht mit der Situation und ihren Auswirkungen auf euch abfinden und sucht nach Abkürzungen, Ausnahmen, Umgehungen. OK, schnell wird euch klar, dass die Baustelle doch nicht durchführbar ist und dass der Schleichweg nur in eine Anwohner-Sackgasse geführt hat. Das ist frustrierend. Euch bleibt nichts anderes übrig, als umzudrehen und der offiziellen Umleitung zu folgen, die euch 5 km Umweg beschert. Diese Frustration auf dem Weg zur Umleitung steht für die Depression auf der Change Kurve. Es ist ein Gefühl von ausgeliefert sein. Doch schließlich nützt es jetzt nichts, ihr fahrt auf der Umleitung und akzeptiert, dass ihr das erste Meeting vermutlich verpassen werdet.
Die Baustelle ist für eine Woche eingerichtet, also fahrt ihr abends auch die Umleitung. Dabei entdeckt ihr, dass ihr, wenn ihr die Umleitung noch etwas weiter denkt, über diesen Weg zwar anders doch ähnlich schnell nach Hause kommt. Zudem habt ihr weniger Ampeln. Es hat sogar Spaß gemacht, diesen Weg zu erkunden. Nach einer Woche erscheint euch der „neue“ Weg zur Arbeit gar nicht mehr unbedingt als Bürde, sondern als gute Alternative zur alten Route. Je nach Bedarf, könnt ihr in Zukunft flexibler auf den morgendlichen Berufsverkehr reagieren und seid zügiger am Ziel. An den Ärger vom ersten Tag der Baustelle könnt ihr euch kaum noch erinnern.
So ähnlich reagieren wir auch auf große, berufliche Veränderungen. Frust und Ärger am Anfang sind ok, wir müssen uns ja erstmal auf die neue Situation einlassen. Dann brauchen wir mehr Details, um uns in dieser geänderten Situation zu orientieren. Und dann probieren wir die Alternativen aus, bis wir den für uns besten Weg gefunden haben.
Was für jeden Change zu empfehlen ist:
1. Raum für alle Emotionen im Change Prozess geben
Emotionen beeinflussen unsere Wahrnehmung. Sind wir gut gelaunt, wirkt der Stress nicht so stark, wie wenn wir angespannt sind (siehe auch Cacioppo, Gardner, & Berntson, 1999). So wird der Change eher akzeptiert, wenn die Grundstimmung positiv ist. Als Führungskräfte können wir hier viel zum Gelingen beitragen!
In den Stadien Schock und Widerstand zeigen sich die Sorgen, Ängste, und Überforderung unserer Mitarbeitenden. Die Leistungsbereitschaft der Betroffenen ist zu dem Zeitpunkt gering. Ihre gesamte Energie konzentriert sich auf die emotionalen Ereignisse. Als Führungskraft ist es in dieser Situation unsere Aufgabe, einen offenen Austausch zu ermöglichen. Die Beteiligten müssen ihre Gedanken, Ängste und Frustrationen offen aussprechen dürfen. So bekommt die Führungskraft nicht nur ein gutes Bild der emotionalen und sozialen IST-Situation, sondern die Mitarbeitenden fühlen sich wertgeschätzt. Wir sorgen für eine offene, vertrauensvolle Atmosphäre, in der alle auf die neue Situation reagieren können.
2. Transparenz in Vorgehensweise und Kommunikation herstellen.
Die Emotionen haben ausreichend Platz gefunden, wenn die Mitarbeitenden beginnen, inhaltliche Fragen zu stellen. Sobald das Team anfängt, sich konstruktiv mit den Möglichkeiten auseinanderzusetzen, ist der richtige Zeitpunkt gekommen, um detailliertere Informationen zu teilen.
Einem Mangel an Informationen führt meist zu Unsicherheit und damit eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten. Menschen fühlen sich durch späte oder unvollständige Informationen in ihrer Selbstbestimmung eingeschränkt, was automatisch zu Widerstand führt.
Werden die Mitarbeitenden gleich zu Beginn des Prozesses mit einbezogen und in die Herangehensweise involviert, stehen ihnen genug Informationen zur Verfügung um nicht in eine Stressreaktion zu verfallen. Ein gut erklärtes „Warum“ für die anstehende Veränderung hilft dabei, die das die Beteiligten sich der Veränderung gegenüber offener verhalten. Wenn die Mitarbeitenden wissen worum es geht, warum die Veränderung notwendig ist und wie sie sich mit ihren Talenten beteiligen können, kann dem Change mit positiver und dadurch auch konstruktiver Energie begegnet werden.
3. Change positiv vorleben.
Führungskräfte, die den Change nicht nur top-down und informativ weitergeben, sondern ihn auch Leben werden die größte positive Wirkung im Team haben. Wissenschaftlich ist das auch zu erklären. Wir Menschen besitzen Spiegelneurone. Joachim Bauer definiert sie wie folgt: „[Es sind] Nervenzellen, die im eigenen Körper ein bestimmtes Programm realisieren können, die aber auch dann aktiv werden, wenn man beobachtet oder auf andere Weise miterlebt, wie ein anderes Individuum dieses Programm in die Tat umsetzt.“. Wenn die Führungskräfte also mit einer positiven Einstellung und großer Motivation den Change Prozess begleiten, werden die Mitarbeitenden großteils mit dem gleichen Enthusiasmus „angesteckt“. Und wem würdest Du lieber durch eine Veränderung folgen? Eine Führungskraft die auch daran glaubt oder eine die nur einer Dienstanweisung folgt…?
Fazit
Emotionen nehmen erheblichen Einfluss auf den gesamten Change Prozess. Führungskräfte und Mitarbeitende die vorwiegend Angst, Frust und Unsicherheit verspüren, werden mit großer Wahrscheinlichkeit Widerstand gegenüber dem Change haben. Sie werden weniger engagiert und motiviert sein den Change zu meistern und den Veränderungsprozess allgemein hemmen. Wenn die Führungskraft in der Lage ist, die Mitarbeitenden als emotionale Wesen zu sehen, kann mit den oben genannten Methoden eine gute und erfolgreiche Change Strategie entwickelt werden.
Schauen wir noch einmal kurz darauf, was passiert, wenn Führungskräfte diesen emotionalen Prozess nicht erkennen und entsprechend unterstützen:
- Es gäbe zu Beginn genauso Unmut, Ängste, Ärger und Frust.
- Wir würden den Emotionen keinen Raum geben, noch nicht mal verständnisvoll Auftreten, sondern das Mitwirken im neuen Prozess anordnen.
- Das würde Ärger, Wut und Widerstand unserer Mitarbeitenden nur noch mehr anheizen. Abkürzungen und Fluchtwege würden gesucht. Die Energie unserer Teams fließt eher in das Aushebeln der neuen Regeln, denn in die Integration.
- Bis wir die Akzeptanz unserer Teams für die neue Lösung gewinnen, würde es deutlich länger dauern und nicht mehr das gleiche Maß an Integration erzielen.
Wie gehst Du mit den emotionalen Aspekten Deiner Führungsrolle um? Welche Methoden verwendest Du, um Deine Mitarbeitenden wertschätzend zu führen?
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